Kafka: Die Verwandlung, eine Würdigung
«Die Verwandlung» fängt direkt mit dem Problem an:
«Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. »
In Folge dessen kann sich Gregor nicht mehr aus seinem Zimmer fortbewegen und gibt nur noch für alle anderen unverständliche Tierlaute von sich.
Das «Kafkaeske» an dieser Situation ist, dass weder Gregor noch sein Umfeld, Familie, Arbeitskollegen das Wunderbare, Surreale oder wissenschaftlich Groteske seiner Verwandlung wahrnehmen.
Stattdessen sehen alle – inklusive Gregor selbst – nur die Schwierigkeit, unter diesen Umständen den kleinlichen alltäglichen Pflichten nachkomme zu können.
Die schriftstellerische Meisterschaft Kafkas besteht nun darin, diese absurde Situation psychologisch in allen Details zu beschreiben.
Das erbarmungslose Verhältnis zu den Eltern, zur Schwester, zu den Arbeitskollegen wird ungeheuer präzise erzählt.
Biographischer Hintergrund von Kafka’s Verwandlung
Zunächst ist bemerkenswert, dass «Die Verwandlung» in einer sehr unruhigen Zeit geschrieben und veröffentlicht worden ist: In der Zeit unmittelbar vor und während 1. Weltkrieges.
In dieser Zeit staute sich unter den Völkern Europas ein furchtbarer Hass untereinander an, der sich dann schliesslich im sinnlosen Morden der Grabenkämpfe entlud.
Gleichzeitig fand eine ungeheure wissenschaftliche Revolution statt: Einstein veröffentlichte 1915 seine «Allgemeine Relativitätstheorie», 1913 entwickelte Niels Bohr sein revolutionäres Atom-Modell, Max Planck legte die Fundamente für die seltsame Theorie der Quantenmechanik.
In der Philosophie entstanden mit Frege, Wittgenstein und Russell die ersten sprachphilosophischen Ansätze.
1917 stellte Sigmund Freud in seiner Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse seine Entdeckung der Macht des Unbewussten vor und entmündigte damit teilweise die Menschen von ihrer Willensfreiheit.
Kurz: «Die Verwandlung» ist in einer Zeit ungeheurer, absurder Umwälzungen entstanden, die Franz Kafka als feiner Intellekt mitbekommen haben muss.
Im engeren Sinne gibt es auch viele Parallelen zu Kafkas Leben selbst.
Wie Gregor hatte auch Kafka ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater:
Gregor wird gezwungen, die Schulden seines Vaters abzuarbeiten. Kafka dagegen musste das Fehlverhalten seines Vaters gegenüber seinen Angestellten in der eigenen Fabrik wieder gut machen.
Gregors zur Schwester Grete ist dem Ungeziefer immer feinseliger gesinnt, bis sie schliesslich am Ende seine Beseitigung fordert! – Ebenso Kafka, der sich von seiner Schwester Ottla im Streit zwischen seinen Eltern und ihm, bei dem es um Fabrik der Familie ging, verraten fühlte.
Auch die Mütter der beiden weisen Gemeinsamkeiten auf.
Beide lieben ihren Sohn, sind aber unfähig oder zu schwach, offen gegen den Vater anzutreten und ihn dauerhaft zu verteidigen.
So kann man «Die Verwandlung» als genial-furchtbare Metapher sowohl für Kafkas persönliche Beziehungen, als auch für das Weltgeschehen um ihn herum deuten.
Weitere Informationen
Mehr Informationen findest Du im Wikipedia-Artikel «Die Verwandlung»
Wir empfehlen zur Lektüre von «Die Verwandlung» die Ausgabe des Fischer Verlages.
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