Phänomenologie des Geistes (Inhaltsübersicht)
Quelle der Zusammenfassung: getabstract.com
1. Die sinnliche Gewissheit
Wenn wir untersuchen wollen, wie das menschliche Bewusstsein Wissen und Erkenntnisse erlangt, müssen wir mit dem unmittelbaren Wissen beginnen. Es ist ein rein sinnliches Wissen. Was wir mit den Sinnen aufnehmen, erscheint uns grenzenlos: Wir treten in den Wald und sehen, hören, riechen, schmecken eine unbändige Vielfalt. Deshalb schenkt uns dieses Wissen die reichste Erkenntnis, denn egal wie sehr wir uns bemühen, finden wir doch keinen Anfang und kein Ende in der Fülle, die sich uns darbietet, wenn wir auf unsere Sinne vertrauen. Das unmittelbare Wissen ist wahrhaft, denn um es zu begreifen, benötigen wir kein Vorwissen. Es ist einfach da, ohne Einschränkungen und ohne Vorverständnis. Die Erkenntnis, dass etwas ist, ist der Anfang der Erkenntnis.
«Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist.»
Wenn ein Gegenstand sinnlich erfahren wird, ist dieser Gegenstand selbst nicht das Einzige, das zur Erkenntnis benötigt wird. Hierfür braucht es auch ein Subjekt (z. B. eine Person), welches den Gegenstand betrachtet. Man kann auch sagen, dass sich der Gegenstand gewissermaßen verdoppelt:
Er existiert «an sich», d. h. völlig unabhängig von einem Subjekt, das ihn betrachtet.
Er existiert «für einen anderen», d. h. in der Beziehung zum wahrnehmenden Subjekt; hierin entfaltet er eine andere Qualität.
«Mit dem Selbstbewußtsein sind wir also nun in das einheimische Reich der Wahrheit eingetreten.»
Raum und Zeit sind zwei weitere Bestandteile der sinnlichen Gewissheit. Das Sein ist an ein Hier und Jetzt gebunden. Schreibt man z. B. den Satz «Es ist Nacht« in der Nacht auf, stellt man schon am nächsten Morgen fest: Diese Wahrheit ist keine Wahrheit mehr. Der Morgen ist die Negation der Nacht. Der Satz «Es ist Nacht« wurde aber durch unser Aufschreiben «aufgehoben«, d. h. er wurde aufbewahrt. Der Morgen ist so im doppelten Wortsinn die Aufhebung der Nacht.
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2. Die Wahrnehmung
Der Gegenstand, die Zeit und der Raum sind etwas Allgemeines und besitzen damit eine höhere Wahrheit und Gültigkeit als alle Besonderheiten. Die menschliche Sprache operiert mit solchen allgemeinen Sätzen und Begriffen. Wenn wir von individuellen Gegenständen sprechen (z. B. einem Baum, einem Tier, einem Tisch usw.), bezieht sich unsere Sprache immer auf das Allgemeine. Reden wir also von einem ganz bestimmten Stuhl vor einem ganz bestimmten Tisch, so kommen wir dennoch nicht umhin, mit den Begriffen «Tisch« und «Stuhl« das Allgemeine zu meinen. Unsere Sprache ist also allgemeiner, als uns lieb ist. Das hat zur Folge, dass wir niemals wirklich genau sagen können, was wir meinen, dass wir unfähig sind, unsere konkreten sinnlichen Eindrücke auszusprechen. Allgemeinheit und Besonderheit liegen daher in einem ständigen Kampf miteinander.
«Das Verhältnis beider Selbstbewußtsein ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren. – Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, für sich zu sein, zur Wahrheit an dem andern, und an ihnen selbst erheben.»
Unser Denken gibt sich nicht mit der oben beschriebenen sinnlichen Gewissheit zufrieden. In einem weiteren Schritt kommt die Wahrnehmung zum Zug. Wortwörtlich «nehmen wir etwas als wahr« auf, d. h. wir stellen eine Beziehung her zwischen dem konkreten, sinnlich aufgenommenen Objekt und seiner allgemeinen Bedeutung. Eine Holzplatte mit vier Beinen wird in unserer Wahrnehmung zum Tisch. Die Wahrnehmung fügt der Holzplatte mit Beinen aber noch etwas hinzu: Eigenschaften. Jeder Gegenstand vereint in sich einen Widerspruch: Er ist «Sein«, etwas Singuläres, das sich von anderen Gegenständen unterscheidet (der Tisch ist kein Stuhl). In unserer Wahrnehmung jedoch bekommt er Eigenschaften zugewiesen, die allgemein sind (der Tisch besteht aus dem Holz, aus dem auch der Stuhl besteht). Wir unterscheiden Dinge also durch das Bündel von Eigenschaften, die sie mit anderen Gegenständen verbinden (positiv) oder von ihnen trennen (negativ).
«Im Denken bin Ich frei, weil ich nicht in einem Andern bin, sondern schlechthin bei mir selbst bleibe, und der Gegenstand, der mir das Wesen ist, in ungetrennter Einheit mein Fürmichsein ist; und meine Bewegung in Begriffen ist eine Bewegung in mir selbst.»
Aus all dem folgt: Ein Gegenstand ist zunächst «an sich«. Er wird jedoch durch das betrachtende Subjekt zum «für andere« und mit allgemeinen Eigenschaften ausgestattet. Diese Eigenschaften sind eigentlich Negationen des «An-sich-Seins«. Doch aus der Negation entspringt eine neue Wahrheit: Der Gegenstand ist «für sich«. Erst jetzt kann er gedacht werden und wird im nächsten Erkenntnisschritt ein Begriff mit Eigenschaften. Dieses Wechselspiel von «Sein« und dessen Negation (die Dialektik) ist gewissermaßen strukturell bedingt: Die Verneinung gehört zum Erfassen des wahren Wesens der Dinge dazu.
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3. Kraft und Verstand
Auch mit der Wahrnehmung begnügen wir uns nicht. Eine weitere, dritte Erkenntnisform schaltet sich ein: der Verstand. Während die sinnliche Gewissheit einen Gegenstand in seiner Ganzheit erfasst und die Wahrnehmung ihn in Eigenschaften aufgliedert, ist es die Aufgabe des Verstandes, hieraus einen Begriff zu machen. Das bedeutet, der Verstand bringt Ordnung in die Vielheit der Eigenschaften und «denkt den Begriff«. Der Verstand muss das Ding hinter den Eigenschaften erkennen, um sich einen Begriff davon machen zu können.
«Damit daß das Selbstbewußtsein Vernunft ist, schlägt sein bisher negatives Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um.»
Als Kategorie, also als Muster der Erkenntnis, wirkt die Kraft. Sie ist es, die das Innere der Gegenstände ausmacht. Kraft ist eigentlich stets doppelt vorhanden: als Kraft und Gegenkraft, die sich wechselseitig beeinflussen und miteinander um die Wette schwingen. Erfassen und durchschauen kann die Kraft und ihre Gesetze nur der Verstand.
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4. Das verdoppelte Selbstbewusstsein
Wenn unser Verstand hinter die sinnliche Welt blickt und die Kraft dahinter entdeckt (wenn er z. B. die Schwerkraft erkennt, die den Apfel vom Baum fallen lässt, oder die elektrische Dysbalance in den Wolken, die zu einem Gewitter führt), hat er etwas Entscheidendes gewonnen: Unser Verstand weiß um sein Wissen. Er wird zum Selbstbewusstsein, zum Wissen um sich selbst. Dies ist die vierte Ebene des Geistes. Das Selbstbewusstsein wird angetrieben von der Begierde. Wir empfinden beispielsweise die Begierde nach Nahrungsaufnahme, wenn wir hungrig sind, oder die Begierde, Neues zu entdecken, weil wir neugierig sind. Es kommt dann im Menschen zu einer Verdopplung des Selbstbewusstseins. Das eine Selbstbewusstsein ist sich selbst genug, es will nur reines Selbstbewusstsein sein und sich nicht von den Dingen der Welt ablenken lassen. Das andere Selbstbewusstsein strebt sozusagen hinaus in die Welt und will von anderem Selbstbewusstsein anerkannt sein.
«Die Vernunft ist die Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein: so spricht der Idealismus ihren Begriff aus.»
Die beiden können auch als Herr und Knecht bezeichnet werden. Nur im Kampf miteinander können sich die beiden als wahrhaftig erkennen – in Abgrenzung zum jeweils anderen. Sollte der Kampf im Tod des einen enden, hat der andere nicht obsiegt. Im Gegenteil: Der Tod des einen ist auch der Verlust des «Abgrenzungspartners« des anderen. Dieser Verlust wiegt schwer für die Selbstbestimmung des Überlebenden, weil er sich nicht mehr durch die Konfrontation mit dem anderen fortentwickeln kann. Der Herr benötigt den Knecht, um mit den Dingen in Kontakt zu treten. Der Knecht ist das «arbeitende Bewusstsein«, das zunächst unselbstständig ist und dem Herrn nur als «Zulieferer« dient, aber durch die Arbeit selbstständig wird, sich selbst kennenlernt und zu sich selbst findet.
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5. Das unglückliche Bewusstsein
Das große Problem des Selbstbewusstseins ist es, seine Einheit zu finden. Denn die beiden Teile des Selbstbewusstseins sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert: Der Herr ist reines denkendes Bewusstsein. Deswegen ist er uneingeschränkt frei. Das knechtische Selbstbewusstsein hingegen ist auf die Welt ausgerichtet – und erlebt hier eine Täuschung und Enttäuschung nach der anderen. Es irrt in der Welt umher, die sich ständig verändert und kann keine wirkliche, bleibende Wahrheit finden. Es ertrinkt in Negationen und erlebt einen Widerspruch zwischen der Vergänglichkeit der einzelnen Erscheinungen und der Unvergänglichkeit des Begriffs, den es sich daraus macht, einen Widerspruch zwischen Besonderheit und Allgemeinheit. Das Bewusstsein wird angesichts dieser Zersplitterung zum gespaltenen, unglücklichen Bewusstsein. Erst durch das Wirken der Vernunft kann diese unbefriedigende Situation auf eine höhere Stufe geführt werden: indem nämlich die Vernunft erkennt, dass die Zerrissenheit zur Einheit dazugehört und dass die Welt nicht durch die einzelnen Erscheinungen, sondern durch das Denken bestimmt wird.
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6. Die Vernunft
Die Vernunft als fünfte Ebene reißt gewissermaßen das Ruder herum. Sie erklärt das Bewusstsein zum Ursprung aller Realität. Das Sein wird folglich durch das Bewusstsein bestimmt. Damit die Vernunft sich aber ihrer selbst vollends bewusst werden kann, muss sie auf «Expeditionsreise« in die Welt gehen. Sie nimmt alles wahr und sucht nach dem Allgemeinen in den Erscheinungen, nach den Begriffen und Gesetzen (z. B. der Gravitation) in der anorganischen und nach Zwecken und Zielen in der organischen Natur. Im Selbstbewusstsein und der menschlichen Psychologie entdeckt die Vernunft einen Mechanismus der Negation: Der menschliche Geist kann sich an äußere Umstände anpassen (dann negiert er sich selbst) oder gegen die Umstände aufbegehren (dann negiert er die vorgefundene Wirklichkeit). Das menschliche Individuum, so findet die Vernunft weiter heraus, ist gleichermaßen «an sich«, weil es als menschliches Wesen in der Welt existiert, aber es ist auch «für sich«, weil es autonom handeln kann – letztlich ist es also «an und für sich«. Äußere Handlungen und innere Beweggründe können sich entsprechen, sie müssen es aber nicht. Geist und Bewusstsein sind gleichermaßen zu Hohem und Niedrigem fähig, so wie das menschliche Geschlechtsorgan zum höchsten Akt der Zeugung wie zum niederen Akt des Urinierens fähig ist.
«Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewußtsein treibt und es in diesem stehen läßt – und die Unwissenheit dieses Bewußtseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, – und des Organs des Pissens naiv ausdrückt.»
Das gespaltene, unglückliche Selbstbewusstsein erlebt eine Art Erlösung in der Begegnung mit dem Selbstbewusstsein anderer Individuen. Die Krönung erreicht dieser Prozess im Zusammenleben eines Volkes und in der Sittlichkeit. Hier arbeitet jedes Individuum gleichermaßen für sich selbst und für das Volk bzw. die anderen Individuen. Die Zerrissenheit zwischen Allgemeinem und Individuellem löst sich auf.
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7. Der Geist
Weil der Einzelne im Volk aufgeht, seine Individualität mit der Allgemeinheit vermischt und nur hierdurch zu wahrer Individualität gelangt, erkennen wir im Volk das Wirken des Geistes. Der Geist ist der Ausgangspunkt aller Tätigkeiten des Volkes.
«In einem freien Volke ist darum in Wahrheit die Vernunft verwirklicht; sie ist gegenwärtiger lebendiger Geist, worin das Individuum seine Bestimmung, das heißt, sein allgemeines und einzelnes Wesen, nicht nur ausgesprochen und als Dingheit vorhanden findet, sondern selbst dieses Wesen ist, und seine Bestimmung auch erreicht hat.»
Zwei Gesetze beginnen sich zu widersprechen: das göttliche Gesetz, das sich in der Familie ausdrückt, und das menschliche Gesetz, das sich im Werden und Wirken des Staates manifestiert. Aus diesem Gegensatz bricht nun der alte Kampf zwischen Individualität und Allgemeinheit wieder aus, der aber notwendig ist, damit sich eine neue dialektische Bewegung in die Höhe schrauben kann. So entsteht der Rechtszustand. Der Geist fühlt sich jedoch in diesem Zustand von sich selbst entfremdet und versucht, diesen sich auftuenden Konflikt durch Bildung zu mildern. Aber vergeblich: Er muss erkennen, dass auch Bildung nicht der Weisheit letzter Schluss ist, denn sie ist ambivalent – ebenso wie beispielsweise der Staat oder der Reichtum, die beide gut oder schlecht, edelmütig oder niederträchtig sein können.
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8. Religion und absolutes Wissen
Nun erscheinen der Glaube und die «reine Einsicht« auf dem Kampfplatz. Obwohl sie dem gleichen Bewusstsein entstammen, wirft die Einsicht, mit anderen Worten: die Aufklärung, dem Glauben vor, Aberglaube zu sein. Nach einem hitzigen Gefecht sinkt der Glaube besiegt in die Knie, und die Aufklärung beginnt mit sich selbst uneins zu werden: Das Selbstbewusstsein streift die Zügel des Glaubens ab und will die unbedingte Freiheit durchsetzen – was jedoch daran scheitert, dass sich Freiheit und Gleichheit nur mit Gewalt durchsetzen lassen und sich in die Terrorherrschaft Einzelner verwandeln, wie die Französische Revolution gezeigt hat. Verzichtet das Selbstbewusstsein aber trotz seiner vollkommenen Freiheit auf Gewalt, kann Moral entstehen. Es kann sich ein Gewissen bilden. Doch auch das Gewissen entzweit sich wieder in einem neuen dialektischen Prozess. Versöhnen sich die beiden widerstrebenden Teile des Gewissens, kann hieraus der Geist entstehen – in Gestalt der Religion. Dies geschieht wieder in verschiedenen Stufen: Auf die natürlichen Religionen (z. B. die Verehrung der Lichtwesen des Orients oder Tierreligionen) folgen die Kunstreligionen (z. B. in der Inszenierung von Kulten, Mysterienspielen und Tragödien) und schließlich die offenbare Religion, in der die Menschwerdung Gottes geschieht. Erkennt der Geist zu guter Letzt sich selbst, «weiß« er sich, ist das absolute Wissen erreicht: die Philosophie.
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