Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung | Hörbuch

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Autor:

Gottlob Frege

Sprecher*in:

Marit Persiel

Hörbuch-Länge:

1 Stunde 23 Minuten

Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung | Hörbuch

Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung

Autor: 
Gottlob Frege
Sprecher*in: 
Marit Persiel
Hörbuch-Dauer: 
1 Stunde 23 Minuten

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Über dieses Hörbuch

«Der Gedanke» von Gottlob Frege jetzt neu und nur bei Fliegenglas als Hörbuch erhältlich, gelesen von Marit Persiel.

Gottlob Frege: «Der Gedanke. Eine logische Untersuchung» (Text)

Wie das Wort „schön” der Ästhetik und „gut” der Ethik, so weist „wahr” der Logik die Richtung. Zwar haben alle Wissenschaften Wahrheit als Ziel; aber die Logik beschäftigt sich noch in ganz anderer Weise mit ihr. Sie verhält sich zur Wahrheit etwa so wie die Physik zur Schwere oder zur Wärme. Wahrheiten zu entdecken, ist Aufgabe aller Wissenschaften: der Logik kommt es zu, die Gesetze des Wahrseins zu erkennen. Man gebraucht das Wort „Gesetz” in doppeltem Sinne. Wenn wir von Sittengesetzen und Staatsgesetzen sprechen, meinen wir Vorschriften, die befolgt werden sollen, mit denen das Geschehen nicht immer im Einklange steht. Die Naturgesetze sind das Allgemeine des Naturgeschehens, dem dieses immer gemäß ist. Mehr in diesem Sinne spreche ich von Gesetzen des Wahrseins. Freilich handelt es sich hierbei nicht um ein Geschehen, sondern um ein Sein. Aus den Gesetzen des Wahrseins ergeben sich nun Vorschriften für das Fürwahrhalten, das Denken, Urteilen, Schließen. Und so spricht man wohl auch von Denkgesetzen. Aber hierbei liegt die Gefahr nahe, Verschiedenes zu vermischen. Man versteht vielleicht das Wort „Denkgesetz” ähnlich wie „Naturgesetz” und meint dabei das Allgemeine im seelischen Geschehen des Denkens. Ein Denkgesetz in diesem Sinne wäre ein psychologisches Gesetz. Und so kann man zu der Meinung kommen, es handle sich in der Logik um den seelischen Vorgang des Denkens und um die psychologischen Gesetze, nach denen es geschieht. Aber damit wäre die Aufgabe der Logik verkannt; denn hierbei erhält die Wahrheit nicht die ihr gebührende Stellung. Der Irrtum, der Aberglaube hat ebenso seine Ursachen wie die richtige Erkenntnis. Das [59] Fürwahrhalten des Falschen und das Fürwahrhalten des Wahren kommen beide nach psychologischen Gesetzen zustande. Eine Ableitung aus diesen und eine Erklärung eines seelischen Vorganges, der in ein Fürwahrhalten ausläuft, kann nie einen Beweis dessen ersetzen, auf das sich dieses Fürwahrhalten bezieht. Können bei diesem seelischen Vorgange nicht auch logische Gesetze beteiligt gewesen sein? Ich will das nicht bestreiten; aber wenn es sich um Wahrheit handelt, kann die Möglichkeit nicht genügen. Möglich, daß auch Nichtlogisches beteiligt gewesen ist und von der Wahrheit abgelenkt hat. Erst nachdem wir die Gesetze des Wahrseins erkannt haben, können wir das entscheiden; dann aber werden wir die Ableitung und Erklärung des seelischen Vorganges wahrscheinlich entbehren können, wenn es uns darauf ankommt zu entscheiden, ob das Fürwahrhalten, in das es ausläuft, gerechtfertigt ist. Um jedes Mißverständnis auszuschließen und die Grenze zwischen Psychologie und Logik nicht verwischen zu lassen, weise ich der Logik die Aufgabe zu, die Gesetze des Wahrseins zu finden, nicht die des Fürwahrhaltens oder Denkens. In den Gesetzen des Wahrseins wird die Bedeutung des Wortes „wahr” entwickelt.

Zunächst aber will ich ganz im Rohen die Umrisse dessen zu zeichnen versuchen, was ich in diesem Zusammenhange wahr nennen will. So mögen denn Gebrauchsweisen unseres Wortes abgelehnt werden, die abseits liegen. Es soll hier nicht in dem Sinne von „wahrhaftig” oder „wahrheitsliebend” gebraucht werden, noch auch so, wie es manchmal bei der Behandlung von Kunstfragen vorkommt, wenn z. B. von Wahrheit in der Kunst die Rede ist, wenn Wahrheit als Ziel der Kunst hingestellt wird, wenn von der Wahrheit eines Kunstwerkes oder von wahrer Empfindung gesprochen wird. Man setzt auch das Wort „wahr” einem andern Worte vor, um zu sagen, daß man dieses Wort in seinem eigentlichen, unverfälschten Sinne verstanden wissen wolle. Auch diese Gebrauchsweise liegt nicht auf dem hier verfolgten Wege; sondern gemeint ist die Wahrheit, deren Erkenntnis der Wissenschaft als Ziel gesetzt ist.

Das Wort „wahr” erscheint sprachlich als Eigenschaftswort. Dabei entsteht der Wunsch, das Gebiet enger abzugrenzen, auf dem die Wahrheit ausgesagt werden, wo überhaupt Wahrheit in Frage kommen könne. Man findet die Wahrheit ausgesagt von Bildern, Vorstellungen, Sätzen und Gedanken. Es fällt auf, daß hier sichtbare und hörbare Dinge zusammen mit Sachen vorkommen, die nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden können. Das deutet darauf hin, daß Verschiebungen des Sinnes vorgekommen sind. In der Tat! Ist denn ein Bild als bloßes sichtbares, tastbares Ding eigentlich wahr? und ein Stein, ein Blatt ist nicht wahr? Offenbar würde man das Bild nicht wahr nennen, wenn nicht eine Absicht dabei wäre. Das Bild soll etwas darstellen. Auch die Vorstellung wird nicht an sich wahr genannt, sondern nur im Hinblick auf eine Absicht, daß sie mit etwas übereinstimmen solle. Danach kann man vermuten, daß die Wahrheit in einer Übereinstimmung eines Bildes mit dem Abgebildeten bestehe. Eine Übereinstimmung ist eine Beziehung. Dem widerspricht aber die Gebrauchsweise des Wortes „wahr”, das kein Beziehungswort ist, keinen Hinweis auf etwas anderes enthält, mit dem etwas übereinstimmen solle. Wenn ich nicht weiß, daß ein Bild den Kölner Dom darstellen solle, weiß [60] ich nicht, womit ich das Bild vergleichen müsse, um über seine Wahrheit zu entscheiden. Auch kann eine Übereinstimmung ja nur dann vollkommen sein, wenn die übereinstimmenden Dinge zusammenfallen, also gar nicht verschiedene Dinge sind. Man soll die Echtheit einer Banknote prüfen können, indem man sie mit einer echten stereoskopisch zur Deckung zu bringen sucht. Aber der Versuch, ein Goldstück mit einem Zwanzigmarkschein stereoskopisch zur Deckung zu bringen, wäre lächerlich. Eine Vorstellung mit einem Dinge zur Deckung zu bringen, wäre nur möglich, wenn auch das Ding eine Vorstellung wäre. Und wenn dann die erste mit der zweiten vollkommen übereinstimmt, fallen sie zusammen. Aber das will man gerade nicht, wenn man die Wahrheit als Übereinstimmung einer Vorstellung mit etwas Wirklichem bestimmt. Dabei ist es gerade wesentlich, daß das Wirkliche von der Vorstellung verschieden sei. Dann aber gibt es keine vollkommene Übereinstimmung, keine vollkommene Wahrheit. Dann wäre überhaupt nichts wahr; denn was nur halb wahr ist, ist unwahr. Die Wahrheit verträgt kein Mehr oder Minder. Oder doch? Kann man nicht festsetzen, daß Wahrheit bestehe, wenn die Übereinstimmung in einer gewissen Hinsicht stattfinde? Aber in welcher? Was müßten wir dann aber tun, um zu entscheiden, ob etwas wahr wäre? Wir müßten untersuchen, ob es wahr wäre, daß — etwa eine Vorstellung und ein Wirkliches — in der festgesetzten Hinsicht übereinstimmten. Und damit ständen wir wieder vor einer Frage derselben Art, und das Spiel könnte von neuem beginnen. So scheitert dieser Versuch, die Wahrheit als eine Übereinstimmung zu erklären. So scheitert aber auch jeder andere Versuch, das Wahrsein zu definieren. Denn in einer Definition gäbe man gewisse Merkmale an. Und bei der Anwendung auf einen besonderen Fall käme es dann immer darauf an, ob es wahr wäre, daß diese Merkmale zuträfen. So drehte man sich im Kreise. Hiernach ist es wahrscheinlich, daß der Inhalt des Wortes „wahr” ganz einzigartig und undefinierbar ist.

Wenn man Wahrheit von einem Bilde aussagt, will man eigentlich keine Eigenschaft aussagen, welche diesem Bilde ganz losgelöst von anderen Dingen zukäme, sondern man hat dabei immer noch eine ganz andere Sache im Auge, und man will sagen, daß jenes Bild mit dieser Sache irgendwie übereinstimme. „Meine Vorstellung stimmt mit dem Kölner Dome überein” ist ein Satz, und es handelt sich nun um die Wahrheit dieses Satzes. So wird, was man wohl mißbräuchlich Wahrheit von Bildern und Vorstellungen nennt, auf die Wahrheit von Sätzen zurückgeführt. Was nennt man einen Satz? Eine Folge von Lauten; aber nur dann, wenn sie einen Sinn hat, womit nicht gesagt sein soll, daß jede sinnvolle Folge von Lauten ein Satz sei. Und wenn wir einen Satz wahr nennen, meinen wir eigentlich seinen Sinn. Danach ergibt sich als dasjenige, bei dem das Wahrsein überhaupt in Frage kommen kann, der Sinn eines Satzes. Ist nun der Sinn eines Satzes eine Vorstellung? Jedenfalls besteht das Wahrsein nicht in der Übereinstimmung dieses Sinnes mit etwas anderem; denn sonst wiederholte sich die Frage nach dem Wahrsein ins Unendliche.

Ohne damit eine Definition geben zu wollen, nenne ich Gedanken etwas, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Was [61] falsch ist, rechne ich also ebenso zu den Gedanken, wie das, was wahr ist. (1) Demnach kann ich sagen: der Gedanke ist der Sinn eines Satzes, ohne damit behaupten zu wollen, daß der Sinn jedes Satzes ein Gedanke sei. Der an sich unsinnliche Gedanke kleidet sich in das sinnliche Gewand des Satzes und wird uns damit faßbarer. Wir sagen, der Satz drücke einen Gedanken aus.

Der Gedanke ist etwas Unsinnliches, und alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge sind von dem Gebiete dessen auszuschließen, bei dem überhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. Wahrheit ist nicht eine Eigenschaft, die einer besonderen Art von Sinneseindrücken entspricht. So unterscheidet sie sich scharf von Eigenschaften, die wir mit den Wörtern „rot”, „bitter”, „fliederduftend” benennen. Aber sehen wir nicht, daß die Sonne aufgegangen ist? und sehen wir nicht damit auch, daß dies wahr ist? Daß die Sonne auf gegangen ist, ist kein Gegenstand, der Strahlen aussendet, die in mein Auge gelangen, ist kein sichtbares Ding wie die Sonne selbst. Daß die Sonne aufgegangen ist, wird auf Grund von Sinneseindrücken als wahr erkannt. Dennoch ist das Wahrsein keine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft. Auch das Magnetischsein wird auf Grund von Sinneseindrücken an einem Dinge erkannt, obwohl dieser Eigenschaft ebensowenig wie der Wahrheit eine besondere Art von Sinneseindrücken entspricht. Darin stimmen diese Eigenschaften überein. Um aber einen Körper als magnetisch zu erkennen, haben wir Sinneseindrücke nötig. Wenn ich es dagegen wahr finde, daß ich in diesem Augenblick nichts rieche, so tue ich das nicht auf Grund von Sinneseindrücken.

Immerhin gibt es zu denken, daß wir an keinem Dinge eine Eigenschaft erkennen können, ohne damit zugleich den Gedanken, daß dieses Ding diese Eigenschaft habe, wahr zu finden. So ist mit jeder Eigenschaft eines Dinges eine Eigenschaft eines Gedankens verknüpft, nämlich die der Wahrheit. Beachtenswert ist es auch, daß der Satz „ich rieche Veilchenduft” doch wohl denselben Inhalt hat wie der Satz „es ist wahr, daß ich Veilchenduft rieche”. So scheint denn dem Gedanken dadurch nichts hinzugefügt zu werden, daß ich ihm die Eigenschaft der Wahrheit beilege. Und doch! ist es nicht ein großer Erfolg, wenn nach langem Schwanken und mühsamen Untersuchungen der Forscher schließlich sagen kann „was ich vermutet habe, ist wahr”? Die Bedeutung des Wortes „wahr” scheint ganz einzigartig zu sein. Sollten wir es hier mit etwas zu tun haben, was in dem sonst üblichen Sinne gar nicht Eigenschaft genannt werden kann? Trotz diesem Zweifel will ich mich zunächst noch dem Sprachgebrauche folgend so ausdrücken, [62] als ob die Wahrheit eine Eigenschaft wäre, bis etwas Zutreffenderes gefunden sein wird.

Um das, was ich Gedanken nennen will, schärfer herauszuarbeiten, unterscheide ich Arten von Sätzen. (2) Einem Befehlssatze wird man einen Sinn nicht absprechen wollen; aber dieser Sinn ist nicht derart, daß Wahrheit bei ihm in Frage kommen könnte. Darum werde ich den Sinn eines Befehlssatzes nicht Gedanken nennen. Ebenso sind Wunsch- und Bittsätze auszuschließen. In Betracht kommen können Sätze, in denen wir etwas mitteilen oder behaupten. Aber Ausrufe, in denen man seinen Gefühlen Luft macht, Stöhnen, Seufzen, Lachen rechne ich nicht dazu, es sei denn, daß sie durch besondere Verabredung dazu bestimmt sind, etwas mitzuteilen. Wie ist es aber bei den Fragesätzen? In einer Wortfrage sprechen wir einen unvollständigen Satz aus, der erst durch die Ergänzung, zu der wir auffordern, einen wahren Sinn erhalten soll. Die Wortfragen bleiben hier demnach außer Betracht. Anders ist es bei den Satzfragen. Wir erwarten „ja” zu hören oder „nein”. Die Antwort „ja” besagt dasselbe wie ein Behauptungssatz; denn durch sie wird der Gedanke als wahr hingestellt, der im Fragesatz schon vollständig enthalten ist. So kann man zu jedem Behauptungssatz eine Satzfrage bilden. Ein Ausruf ist deshalb nicht als Mitteilung anzusehen, weil keine entsprechende Satzfrage gebildet werden kann. Fragesatz und Behauptungssatz enthalten denselben Gedanken; aber der Behauptungssatz enthält noch etwas mehr, nämlich eben die Behauptung. Auch der Fragesatz enthält etwas mehr, nämlich eine Aufforderung. In einem Behauptungssatz ist also zweierlei zu unterscheiden: der Inhalt, den er mit der entsprechenden Satzfrage gemein, hat und die Behauptung. Jener ist der Gedanke oder enthält wenigstens den Gedanken. Es ist also möglich, einen Gedanken auszudrücken, ohne ihn als wahr hinzustellen. In einem Behauptungssatze ist beides so verbunden, daß man die Zerlegbarkeit leicht übersieht. Wir unterscheiden demnach

1. das Fassen des Gedankens — das Denken,
2. die Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens — das Urteilen (3)
3. die Kundgebung dieses Urteils — das Behaupten.

Indem wir eine Satzfrage bilden, haben wir die erste Tat schon vollbracht. Ein Fortschritt in der Wissenschaft geschieht gewöhnlich so, daß zuerst ein Gedanke gefaßt wird, wie er etwa in einer Satzfrage ausgedrückt werden kann, worauf dann nach angestellten Untersuchungen dieser Gedanke zuletzt als wahr [63] erkannt wird. In der Form des Behauptungssatzes sprechen wir die Anerkennung der Wahrheit aus. Wir brauchen dazu das Wort „wahr” nicht. Und selbst, wenn wir es gebrauchen, liegt die eigentlich behauptende Kraft nicht in ihm, sondern in der Form des Behauptungssatzes, und wo diese ihre behauptende Kraft verliert, kann auch das Wort „wahr” sie nicht wieder herstellen. Das geschieht, wenn wir nicht im Ernste sprechen. Wie der Theaterdonner nur Scheindonner, das Theatergefecht nur Scheingefecht ist, so ist auch die Theaterbehauptung nur Scheinbehauptung. Es ist nur Spiel, nur Dichtung. Der Schauspieler in seiner Rolle behauptet nicht, er lügt auch nicht, selbst wenn er etwas sagt, von dessen Falschheit er überzeugt ist. In der Dichtung haben wir den Fall, daß Gedanken ausgedrückt werden, ohne daß sie trotz der Form des Behauptungssatzes wirklich als wahr hingestellt werden, obwohl es dem Hörer nahegelegt werden mag, selbst ein zustimmendes Urteil zu fällen. Also auch bei dem, was sich der Form nach als Behauptungssatz darstellt, ist immer noch zu fragen, ob es wirklich eine Behauptung enthalte. Und diese Frage ist zu verneinen, wenn der dazu nötige Ernst fehlt. Ob das Wort „wahr” dabei gebraucht wird, ist unerheblich. So erklärt es sich, daß dem Gedanken dadurch nichts hinzugefügt zu werden scheint, daß man ihm die Eigenschaft der Wahrheit beilegt.

Ein Behauptungssatz enthält außer einem Gedanken und der Behauptung oft noch ein Drittes, auf das sich die Behauptung nicht erstreckt. Das soll nicht selten auf das Gefühl, die Stimmung des Hörers wirken oder seine Einbildungskraft anregen. Wörter wie „leider”, „gottlob” gehören hierher. Solche Bestandteile des Satzes treten in der Dichtung stärker hervor, fehlen aber auch in der Prosa selten ganz. In mathematischen, physikalischen, chemischen Darstellungen werden sie seltener sein als in geschichtlichen. Was man Geisteswissenschaft nennt, steht der Dichtung näher, ist darum aber auch weniger wissenschaftlich als die strengen Wissenschaften, die um so trockner sind, je strenger sie sind; denn die strenge Wissenschaft ist auf die Wahrheit gerichtet und nur auf die Wahrheit. Alle Bestandteile des Satzes also, auf die sich die behauptende Kraft nicht erstreckt, gehören nicht zur wissenschaftlichen Darstellung, sind aber manchmal auch für den schwer zu vermeiden, der die damit verbundene Gefahr sieht. Wo es darauf ankommt, sich dem gedanklich Unfaßbaren auf dem Wege der Ahnung zu nähern, haben diese Bestandteile ihre volle Berechtigung. Je strenger wissenschaftlich eine Darstellung ist, desto weniger wird sich das Volkstum ihres Urhebers bemerkbar machen, desto leichter wird sie sich übersetzen lassen. Dagegen erschweren die Bestandteile der Sprache, auf die ich hier aufmerksam machen möchte, die Übersetzung von Dichtungen sehr, ja machen eine vollkommene Übersetzung fast immer unmöglich; denn gerade in ihnen, auf denen der dichterische Wert zu einem großen Teile beruht, unterscheiden sich die Sprachen am meisten. Ob ich das Wort „Pferd” oder ”Roß” oder „Gaul” oder „Mähre” gebrauche, macht keinen Unterschied im Gedanken. Die behauptende Kraft erstreckt sich nicht auf das, wodurch sich diese Wörter unterscheiden. Was man Stimmung, Luft, Beleuchtung in einer Dichtung nennen kann, was durch Tonfall und Rhythmus gemalt wird, gehört nicht zum Gedanken.

Manches in der Sprache dient dazu, dem Hörer die Auffassung zu erleichtern, z. B. die Hervorhebung eines Satzgliedes durch Betonung oder Wortstellung. Man denke auch an Wörter wie „noch” und „schon”. Mit dem Satze „Alfred ist noch nicht gekommen” sagt man eigentlich „Alfred ist nicht gekommen” und deutet dabei an, daß man sein Kommen erwartet; aber man deutet es eben nur an. Man kann nicht sagen, daß der Sinn des Satzes darum falsch sei, weil Alfreds Kommen nicht erwartet werde. Das Wort „aber” unterscheidet sich von „und” dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze. Solche Winke in der Rede machen keinen Unterschied im Gedanken. Man kann einen Satz umformen, indem man das Verb aus dem Aktiv ins Passiv umsetzt und zugleich das Akkusativ-Objekt zum Subjekte macht. Ebenso kann man den Dativ in den Nominativ umwandeln und zugleich „geben” durch „empfangen” ersetzen. Gewiß sind solche Umformungen nicht in jeder Hinsicht gleichgültig; aber sie berühren den Gedanken nicht, sie berühren das nicht, was wahr oder falsch ist. Wenn allgemein die Unzulässigkeit solcher Umformungen anerkannt würde, so wäre damit jede tiefere logische Untersuchung verhindert. Es ist ebenso wichtig, Unterscheidungen zu unterlassen, welche den Kern der Sache nicht berühren, wie Unterscheidungen zu machen, welche das Wesentliche betreffen. Was aber wesentlich ist, hängt von dem Zwecke ab. Dem auf das Schöne in der Sprache gerichteten Sinne kann gerade das wichtig erscheinen, was dem Logiker gleichgültig ist.

So überragt der Inhalt eines Satzes nicht selten den in ihm ausgedrückten Gedanken. Aber auch das Umgekehrte kommt oft vor, daß nämlich der bloße Wortlaut, welcher durch die Schrift oder den Phonographen festgehalten werden kann, zum Ausdruck des Gedankens nicht hinreicht. Das Tempus Praesens wird in zweifacher Weise gebraucht: erstens, um eine Zeitangabe zu machen, zweitens um jede zeitliche Beschränkung aufzuheben, falls Zeitlosigkeit oder Ewigkeit Bestandteil des Gedankens ist. Man denke z. B. an die Gesetze der Mathematik. Welcher der beiden Fälle stattfinde, wird nicht ausgedrückt, sondern muß erraten werden. Wenn mit dem Praesens eine Zeitangabe gemacht werden soll, muß man wissen, wann der Satz ausgesprochen worden ist, um den Gedanken richtig aufzufassen. Dann ist also die Zeit des Sprechens Teil des Gedankenausdrucks. Wenn jemand heute dasselbe sagen will, was er gestern das Wort „heute” gebrauchend ausgedrückt hat, so wird er dieses Wort durch „gestern” ersetzen. Obwohl der Gedanke derselbe ist, muß hierbei der Wortausdruck verschieden sein, um die Änderung des Sinnes wieder auszugleichen, die sonst durch den Zeitunterschied des Sprechens bewirkt würde. Ähnlich liegt die Sache bei den Wörtern wie „hier”, „da”. In allen solchen Fällen ist der bloße Wortlaut, wie er schriftlich festgehalten werden kann, nicht der vollständige Ausdruck des Gedankens, sondern man bedarf zu dessen richtiger Auffassung noch der Kenntnis gewisser das Sprechen begleitender Umstände, die dabei als Mittel des Gedankenausdrucks benutzt werden. Dazu können auch Fingerzeige, Handbewegungen, Blicke gehören. Der gleiche das Wort „ich” enthaltende Wortlaut wird im Munde verschiedener Menschen verschiedene Gedanken ausdrücken, von denen einige wahr, andere falsch sein können.

Das Vorkommen des Wortes „ich” in einem Satze gibt noch zu einigen Fragen Veranlassung.

Es liege folgender Fall vor. Dr. Gustav Lauben sagt: „Ich bin verwundet worden”. Leo Peter hört das und erzählt nach einigen Tagen: „Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden”. Drückt nun dieser Satz denselben Gedanken aus, den Dr. Lauben selbst ausgesprochen hat? Es werde angenommen, Rudolf Lingens sei anwesend gewesen, als Dr. Lauben gesprochen, und höre nun das, was Leo Peter erzählt. Wenn von Dr. Lauben und von Leo Peter derselbe Gedanke ausgesprochen worden ist, so maß Rudolf Lingens, der deutschen Sprache völlig mächtig und sich an das erinnernd, was in seiner Gegenwart Dr. Lauben gesagt hat, nun bei der Erzählung Leo Peters sofort wissen, daß von derselben Sache die Rede ist. Aber mit der Kenntnis der deutschen Sprache ist es eine eigene Sache, wenn es sich um Eigennamen handelt. Es kann leicht sein, daß nur wenige mit dem Satze „Dr. Lauben ist verwundet worden” einen bestimmten Gedanken verbinden. Zum vollen Verständnis gehört in diesem Falle die Kenntnis der Vokabel „Dr. Gustav Lauben”. Wenn nun beide, Leo Peter und Rudolf Lingens, unter „Dr. Gustav Lauben” den Arzt verstehen, der in einer ihnen beiden bekannten Wohnung als der einzige Arzt wohnt, so verstehen beide den Satz „Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden” in derselben Weise, sie verbinden mit ihm denselben Gedanken. Dabei ist es aber möglich, daß Rudolf Liragens den Dr. Lauben nicht persönlich kennt und nicht weiß, daß es eben der Dr. Lauben war, der neulich sagte: „Ich bin verwundet worden”. In diesem Falle kann Rudolf Lingens nicht wissen, daß es sich um dieselbe Sache handelt. Darum sage ich in diesem Falle: der Gedanke, den Leo Peter kundgibt, ist nicht derselbe, den Dr. Lauben ausgesprochen hat.

Es werde weiter angenommen, Herbert Garner wisse, daß Dr. Gustav Lauben am 13. September 1875 in N. N. geboren ist und daß dies auf keinen anderen zutrifft; dagegen wisse er nicht, wo Dr. Lauben jetzt wohnt, noch sonst etwas von ihm. Andererseits wisse Leo Peter nicht, daß Dr. Gustav Lauben am 13. September 1875 in N. N. geboren ist. Dann sprechen Herbert Garner und Leo Peter, soweit der Eigenname „Dr. Gustav Lauben” in Betracht kommt, nicht dieselbe Sprache, obwohl sie in der Tat denselben Mann mit diesem Namen bezeichnen; denn daß sie das tun, wissen sie nicht. Herbert Garner verbindet also mit dem Satze „Dr. Gustav Lauben ist verwundet worden” nicht denselben Gedanken, den Leo Peter damit ausdrücken will. Um den Übelstand zu vermeiden, daß Herbert Garner und Leo Peter nicht dieselbe Sprache reden, nehme ich an, daß Leo Peter den Eigennamen „Dr. Lauben”, Herbert Garner dagegen den Eigennamen „Gustav Lauben” gebraucht. Nun ist es möglich, daß Herbert Garner den Sinn des Satzes „Dr. Lauben ist verwundet worden” für wahr hält, während er, durch falsche Nachrichten irregeführt, den Sinn des Satzes „Gustav Lauben ist verwundet worden” für falsch hält. Unter den gemachten Annahmen sind diese Gedanken also verschieden.

Demnach kommt es bei einem Eigennamen darauf an, wie der, die oder das durch ihn Bezeichnete gegeben ist. Das kann in verschiedener Weise geschehen, und jeder solchen Weise entspricht ein besonderer Sinn eines Satzes, der den Eigennamen enthält. Die verschiedenen Gedanken, die sich so aus demselben Satze ergeben, stimmen freilich in ihrem Wahrheitswerte überein, d. h. wenn einer von ihnen wahr ist, sind sie alle wahr, und wenn einer von ihnen falsch ist, sind sie alle falsch. Dennoch ist ihre Verschiedenheit anzuerkennen. Es muß also eigentlich gefordert werden, daß mit jedem Eigennamen eine einzige Weise verknüpft sei, wie der, die oder das durch ihn Bezeichnete gegeben sei. Daß diese Forderung erfüllt werde, ist oft unerheblich, aber nicht immer.

Nun ist jeder sich selbst in einer besonderen und ursprünglichen Weise gegeben, wie er keinem anderen gegeben ist. Wenn nun Dr. Lauben denkt, daß er verwundet worden ist, wird er dabei wahrscheinlich diese ursprüngliche Weise, wie er sich selbst gegeben ist, zugrunde legen. Und den so bestimmten Gedanken kann nur Dr. Lauben selbst fassen. Nun aber wollte er anderen eine Mitteilung machen. Einen Gedanken, den nur er allein fassen kann, kann er nicht mitteilen. Wenn er nun also sagt: „Ich bin verwundet worden”, muß er das „ich” in einem Sinn gebrauchen, der auch andern faßbar ist, etwa in dem Sinne von „derjenige, der in diesem Augenblicke zu euch spricht”, wobei er die sein Sprechen begleitenden Umstände dem Gedankenausdrucke dienstbar macht.

Doch da kommt ein Bedenken. Ist das überhaupt derselbe Gedanke, den zuerst jener und nun dieser Mensch ausspricht?

Der von der Philosophie noch unberührte Mensch kennt zunächst Dinge, die er sehen, tasten, kurz, mit den Sinnen wahrnehmen kann, wie Bäume, Steine, Häuser, und er ist überzeugt, daß ein anderer denselben Baum, denselben Stein, den er selbst sieht und tastet, gleichfalls sehn und tasten kann. Zu diesen Dingen gehört ein Gedanke offenbar nicht. Kann er nun trotzdem den Menschen als derselbe gegenüberstehn wie ein Baum?

Auch der unphilosophische Mensch sieht sich bald genötigt, eine von der Außenwelt verschiedene Innenwelt anzuerkennen, eine Welt der Sinneseindrücke, der Schöpfungen seiner Einbildungskraft, der Empfindungen, der Gefühle und Stimmungen, eine Welt der Neigungen, Wünsche und Entschlüsse. Um einen kurzen Ausdruck zu haben, will ich dies mit Ausnahme der Entschlüsse unter dem Worte „Vorstellung” zusammenfassen.

Gehören nun die Gedanken dieser Innenwelt an? Sind sie Vorstellungen? Entschlüsse sind sie offenbar nicht.

Wodurch unterscheiden sich die Vorstellungen von den Dingen der Außenwelt? Zuerst:

Vorstellungen können nicht gesehen oder getastet, weder gerochen, noch geschmeckt, noch gehört werden.

Ich mache mit einem Begleiter einen Spaziergang. Ich sehe eine grüne Wiese; ich habe dabei den Gesichtseindruck des Grünen. Ich habe ihn, aber ich sehe ihn nicht.

Zweitens: Vorstellungen werden gehabt. Man hat Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, Neigungen, Wünsche. Eine Vorstellung, die jemand hat, gehört zu dem Inhalte seines Bewußtseins.

Die Wiese und die Frösche auf ihr, die Sonne, die sie bescheint, sind da, einerlei ob ich sie anschaue oder nicht; aber der Sinneseindruck des Grünen, den ich habe, besteht nur durch mich; ich bin sein Träger. Es scheint uns ungereimt, daß ein Schmerz, eine Stimmung, ein Wunsch sich ohne einen Träger selbständig in der Welt umhertreibe. Eine Empfindung ist nicht ohne einen Empfindenden möglich. Die Innenwelt hat zur Voraussetzung einen, dessen Innenwelt sie ist.

Drittens: Vorstellungen bedürfen eines Trägers. Die Dinge der Außenwelt sind im Vergleiche damit selbständig.

Mein Begleiter und ich sind überzeugt, daß wir beide dieselbe Wiese sehen; aber jeder von uns hat einen besonderen Sinneseindruck des Grünen. Ich erblicke eine Erdbeere zwischen den grünen Erdbeerblättern. Mein Begleiter findet sie nicht; er ist farbenblind. Der Farbeneindruck, den er von der Erdbeere erhält, unterscheidet sich nicht merklich von dem, den er von dem Blatt erhält. Sieht nun mein Begleiter das grüne Blatt rot, oder sieht er die rote Beere grün? oder sieht er beide in einer Farbe, die ich gar nicht kenne? Das sind unbeantwortbare, ja eigentlich unsinnige Fragen. Denn das Wort „rot”, wenn es nicht eine Eigenschaft von Dingen angeben, sondern meinem Bewußtsein angehörende Sinneseindrücke kennzeichnen soll, ist anwendbar nur im Gebiete meines Bewußtseins; denn es ist unmöglich, meinen Sinneseindruck mit dem eines andern zu vergleichen. Dazu wäre erforderlich, einen Sinneseindruck, der einem Bewußtsein angehört, und einen Sinneseindruck, der einem andern Bewußtsein angehört, in einem Bewußtsein zu vereinigen. Wenn es nun auch möglich wäre, eine Vorstellung aus einem Bewußtsein verschwinden und zugleich eine Vorstellung in einem andern Bewußtsein auftauchen zu lassen, so bliebe doch immer die Frage unbeantwortet, ob das dieselbe Vorstellung wäre. Inhalt meines Bewußtseins zu sein, gehört so zum Wesen jeder meiner Vorstellungen, daß jede Vorstellung eines andern eben als solche von meiner verschieden ist. Wäre es aber nicht möglich, daß meine Vorstellungen, mein ganzer Bewußtseinsinhalt zugleich Inhalt eines umfassenderen, etwa göttlichen Bewußtseins wäre? Doch wohl nur, wenn ich selbst Teil des göttlichen Wesens wäre. Aber wären es dann eigentlich meine Vorstellungen? wäre ich ihr Träger? Doch das überschreitet soweit die Grenzen des menschlichen Erkennens, daß es geboten ist, diese Möglichkeit außer Betracht zu lassen. Jedenfalls ist es uns Menschen unmöglich, Vorstellungen anderer mit unsern [68] eigenen zu vergleichen. Ich pflücke die Erdbeere ab; ich halte sie zwischen den Fingern. Jetzt sieht sie auch mein Begleiter, dieselbe Erdbeere; aber jeder von uns hat seine eigene Vorstellung. Kein anderer hat meine Vorstellung; aber viele können dasselbe Ding sehen. Kein anderer hat meinen Schmerz. Jemand kann Mitleid mit mir haben; aber dabei gehört doch immer mein Schmerz mir und sein Mitleid ihm an. Er hat nicht meinen Schmerz, und ich habe nicht sein Mitleid.

Viertens: Jede Vorstellung hat nur einen Träger; nicht zwei Menschen haben dieselbe Vorstellung.

Sonst hätte sie unabhängig von diesem und unabhängig von jenem Bestand. Ist jene Linde meine Vorstellung? Indem ich in dieser Frage den Ausdruck „jene Linde” gebrauche, greife ich eigentlich der Antwort schon vor; denn mit diesem Ausdrucke will ich etwas bezeichnen, was ich sehe und was auch andere betrachten und betasten können. Nun ist zweierlei möglich. Wenn meine Absicht erreicht ist, wenn ich mit dem Ausdrucke „jene Linde” etwas bezeichne, dann ist der in dem Satze „jene Linde ist meine Vorstellung” ausgedrückte Gedanke offenbar zu verneinen. Wenn ich aber meine Absicht verfehlt habe, wenn ich nur zu sehen meine, ohne wirklich zu sehen, wenn demnach die Bezeichnung „jene Linde” leer ist, dann habe ich mich, ohne es zu wissen und zu wollen, in das Gebiet der Dichtung verirrt. Dann ist weder der Inhalt des Satzes „jene Linde ist meine Vorstellung” noch der Inhalt des Satzes „jene Linde ist nicht meine Vorstellung” wahr; denn in beiden Fällen habe ich dann eine Aussage, welcher der Gegenstand fehlt. Die Beantwortung der Frage kann dann nur abgelehnt werden mit der Begründung, daß der Inhalt des Satzes „jene Linde ist meine Vorstellung” Dichtung sei. Freilich habe ich dann wohl eine Vorstellung; aber diese meine ich nicht mit den Worten „jene Linde”. Nun könnte jemand wirklich mit den Worten „jene Linde” eine seiner Vorstellungen bezeichnen wollen; dann wäre er Träger dessen, was er mit jenen Worten bezeichnen wollte; aber er sähe dann jene Linde nicht, und kein anderer Mensch sähe sie oder wäre ihr Träger.

Ich komme nun auf die Frage zurück: Ist der Gedanke eine Vorstellung? Wenn der Gedanke, den ich im pythagoreischen Lehrsatz ausspreche, ebenso von andern wie von mir als wahr anerkannt werden kann, dann gehört er nicht zum Inhalte meines Bewußtseins, dann bin ich nicht sein Träger und kann ihn trotzdem als wahr anerkennen. Wenn es aber gar nicht derselbe Gedanke ist, der von mir und der von jenem als Inhalt des pythagoreischen Lehrsatzes angesehen wird, dann dürfte man eigentlich nicht sagen „der pythagoreische Lehrsatz”, sondern „mein pythagoreischer Lehrsatz”, „sein pythagoreischer Lehrsatz”, und diese wären verschieden; denn der Sinn gehört notwendig zum Satze. Dann kann mein Gedanke Inhalt meines Bewußtseins, sein Gedanke Inhalt seines Bewußtseins sein. Könnte dann der Sinn meines pythagoreischen Lehrsatzes wahr, der seines falsch sein? Ich habe gesagt, das Wort „rot” sei anwendbar nur im Gebiete meines Bewußtseins, wenn es nicht eine Eigenschaft von Dingen angeben, sondern einige meiner Sinneseindrücke kennzeichnen solle. So könnten auch die Wörter „wahr” und „falsch” so, wie ich sie verstehe, anwendbar sein nur im Gebiete meines [69] Bewußtseins, wenn sie nicht etwas betreffen sollten, dessen Träger ich nicht bin, sondern bestimmt wären, Inhalte meines Bewußtseins irgendwie zu kennzeichnen. Dann wäre die Wahrheit auf den Inhalt meines Bewußtseins beschränkt, und es bliebe zweifelhaft, ob im Bewußtsein anderer überhaupt etwas Ähnliches vorkäme.

Wenn jeder Gedanke eines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte er gehört, so ist er Gedanke nur dieses Trägers, und es gibt keine Wissenschaft, welche vielen gemeinsam wäre, an welcher viele arbeiten könnten; sondern ich habe vielleicht meine Wissenschaft, nämlich ein Ganzes von Gedanken, deren Träger ich bin, ein anderer hat seine Wissenschaft. Jeder von uns beschäftigt sich mit Inhalten seines Bewußtseins. Ein Widerspruch zwischen beiden Wissenschaften ist dann nicht möglich; und es ist eigentlich müßig, sich um die Wahrheit zu streiten, ebenso müßig, ja beinahe lächerlich, wie es wäre, wenn zwei Leute sich stritten, ob ein Hundertmarkschein echt wäre, wobei jeder von beiden denjenigen meinte, den er selber in seiner Tasche hätte, und das Wort „echt” in seinem besonderen Sinne verstände. Wenn jemand die Gedanken für Vorstellungen hält, so ist das, was er damit als wahr anerkennt, nach seiner eigenen Meinung Inhalt seines Bewußtseins und geht andere eigentlich gar nichts an. Und wenn er von mir die Meinung hörte, der Gedanke wäre nicht Vorstellung, so könnte er das nicht bestreiten; denn das ginge ihn ja nun wieder nichts an.

So scheint das Ergebnis zu sein: Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen.

Ein drittes Reich muß anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt mit den Vorstellungen darin überein, daß es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, mit den Dingen aber darin, daß es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewußtseinsinhalte es gehört. So ist z. B. der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgendjemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit andern Planeten in Wechselwirkung gewesen ist. (5)

Aber einen seltsamen Einwurf glaube ich zu hören. Ich habe mehrfach angenommen, dasselbe Ding, das ich sehe, könne auch von einem andern betrachtet werden. Wie aber, wenn alles nur Traum wäre? Wenn ich meinen Spaziergang in Begleitung eines andern nur träumte, wenn ich nur träumte, daß mein Begleiter wie ich die grüne Wiese sähe, wenn das alles nur ein Schauspiel wäre, aufgeführt auf der Bühne meines Bewußtseins, so wäre es zweifelhaft, ob es überhaupt Dinge der Außenwelt gebe. Vielleicht ist das Reich der Dinge leer, und ich sehe keine Dinge, auch keine Menschen, sondern ich habe vielleicht nur Vorstellungen, deren Träger ich selbst bin. Etwas, was ebensowenig wie mein Ermüdungsgefühl unabhängig von mir bestehen kann, eine Vorstellung kann kein Mensch sein, kann nicht mit mir zusammen dieselbe Wiese betrachten, kann nicht die Erdbeere sehen, die ich [70] halte. Daß ich statt der ganzen Umwelt, in der ich mich zu bewegen, zu schaffen gemeint, eigentlich nur meine Innenwelt habe, ist doch ganz unglaublich. Und doch ist es unausweichliche Folge des Satzes, daß nur das Gegenstand meiner Betrachtung sein kann, was meine Vorstellung ist. Was würde aus diesem Satze folgen, wenn er wahr wäre? Gäbe es dann andere Menschen? Das wäre schon möglich; aber ich wüßte nichts von ihnen: denn ein Mensch kann nicht meine Vorstellung, folglich, wenn unser Satz wahr wäre, auch nicht Gegenstand meiner Betrachtung sein. Und damit wäre allen Erwägungen der Boden entzogen, bei denen ich annahm, etwas könnte einem andern ebenso Gegenstand sein wie mir; denn selbst, wenn es vorkäme, wußte ich nichts davon. Dasjenige, dessen Träger ich bin, von demjenigen zu unterscheiden, dessen Träger ich nicht bin, wäre mir unmöglich. Indem ich urteilte, etwas wäre nicht meine Vorstellung, machte ich es zum Gegenstande meines Denkens und damit zu meiner Vorstellung. Gibt es bei dieser Auffassung eine grüne Wiese? Vielleicht, aber sie wäre mir nicht sichtbar. Ist nämlich eine Wiese nicht meine Vorstellung, so kann sie nach unserm Satze nicht Gegenstand meiner Betrachtung sein. Ist sie aber meine Vorstellung, so ist sie unsichtbar; denn Vorstellungen sind nicht sichtbar. Ich kann zwar die Vorstellung einer grünen Wiese haben; aber diese ist nicht grün; denn grüne Vorstellungen gibt es nicht. Gibt es nach dieser Ansicht ein Geschoß von 100 kg Gewicht? Vielleicht; aber ich könnte nichts von ihm wissen. Wenn ein Geschoß nicht meine Vorstellung ist, so kann es nach unserm Satze nicht Gegenstand meiner Betrachtung, meines Denkens sein. Wenn ein Geschoß aber meine Vorstellung wäre, so hätte es kein Gewicht. Ich kann eine Vorstellung von einem schweren Geschosse haben. Diese enthält dann als Teilvorstellung die der Gewichtigkeit. Diese Teilvorstellung ist aber nicht Eigenschaft der Gesamtvorstellung, ebensowenig, wie Deutschland Eigenschaft Europas ist. So ergibt sich:

Entweder der Satz ist falsch, daß nur das Gegenstand meiner Betrachtung sein kann, was meine Vorstellung ist; oder all mein Wissen und Erkennen beschränkt sich auf den Bereich meiner Vorstellungen, auf die Bühne meines Bewußtseins. In diesem Falle hätte ich nur eine Innenwelt, und ich wußte nichts von andern Menschen.

Es ist wundersam, wie bei solchen Erwägungen die Gegensätze ineinander umschlagen. Da ist z. B. ein Sinnesphysiologe. Wie es sich für einen wissenschaftlichen Naturforscher ziemt, ist er zunächst weit davon entfernt, die Dinge, die zu sehen und zu tasten er überzeugt ist, für seine Vorstellungen zu halten. Im Gegenteil glaubt er in den Sinneseindrücken die sichersten Zeugnisse von Dingen zu haben, die ganz unabhängig von seinem Fühlen, Vorstellen, Denken bestehen, die sein Bewußtsein nicht nötig haben. Nervenfasern, Ganglienzellen erkennt er so wenig als Inhalt seines Bewußtseins an, daß er eher geneigt ist, umgekehrt sein Bewußtsein als abhängig von Nervenfasern und Ganglienzellen anzusehen. Er stellt fest, daß Lichtstrahlen, im Auge gebrochen, die Endigungen des Sehnerven treffen und da eine Veränderung, einen Reiz bewirken. Etwas davon wird weitergeleitet durch Nervenfasern zu Ganglienzellen. Es schließen sich daran vielleicht [71] weitere Vorgänge im Nervensystem, und es entstehen Farbenempfindungen, und diese verbinden sich zu dem, was wir vielleicht Vorstellung eines Baumes nennen. Zwischen den Baum und meine Vorstellung schieben sich physikalische, chemische, physiologische Vorgänge ein. Mit meinem Bewußtsein unmittelbar zusammen hängen aber, wie es scheint, nur Vorgänge in meinem Nervensystem; und jeder Beschauer des Baumes hat seine besonderen Vorgänge in seinem besonderen Nervensystem. Nun können die Lichtstrahlen, bevor sie in mein Auge dringen, von einer Spiegelfläche zurückgeworfen worden sein und sich nun so weiter verbreiten, als wären sie von Orten hinter dem Spiegel ausgegangen. Die Wirkungen auf die Sehnerven und alles Folgende wird nun gerade so vor sich gehen, wie es vor sich gehen würde, wenn die Lichtstrahlen von einem Baume hinter dem Spiegel ausgegangen wären und sich ungestört bis ans Auge fortgepflanzt hätten. So wird denn schließlich auch eine Vorstellung eines Baumes zustande kommen, wenn es einen solchen Baum auch gar nicht gibt. Auch durch Beugung des Lichtes kann durch Vermittelung des Auges und des Nervensystems eine Vorstellung entstehen, der gar nichts entspricht. Die Reizung des Sehnerven braucht aber gar nicht einmal durch Licht zu geschehen. Wenn in unserer Nähe ein Blitz niedergeht, glauben wir Flammen zu sehen, auch wenn wir den Blitz selbst nicht sehen können. Der Sehnerv wird dann etwa durch elektrische Ströme gereizt, die in unserm Leibe infolge des Blitzschlages entstehen. Wenn der Sehnerv dadurch ebenso gereizt wird, wie er durch Lichtstrahlen gereizt werden würde, die von Flammen ausgingen, so glauben wir Flammen zu sehen. Es kommt eben auf die Reizung des Sehnerven an; wie sie zustande kommt, ist gleichgültig.

Man kann noch einen Schritt weitergehen. Eigentlich ist doch diese Reizung des Sehnerven nicht unmittelbar gegeben, sondern nur Annahme. Wir glauben, daß ein von uns unabhängiges Ding einen Nerv reize und dadurch einen Sinneseindruck bewirke; aber genau genommen, erleben wir nur das Ende dieses Vorganges, das in unser Bewußtsein hereinragt. Könnte nicht dieser Sinneseindruck, diese Empfindung, die wir auf einen Nervenreiz zurückführen, auch andere Ursachen haben, wie ja auch derselbe Nervenreiz in verschiedener Weise entstehen kann? Nennen wir das in unser Bewußtsein Fallende Vorstellung, so erleben wir eigentlich nur Vorstellungen, nicht aber deren Ursachen. Und wenn der Forscher alle bloßen Annahmen fernhalten will, so bleiben ihm nur Vorstellungen; alles löst sich ihm in Vorstellungen auf, auch die Lichtstrahlen, die Nervenfasern und Ganglienzellen, von denen er ausgegangen ist. So unterwühlt er schließlich die Grundlagen seines eigenen Baues. Alles ist Vorstellung? Alles bedarf eines Trägers, ohne den es keinen Bestand hat? Ich habe mich als Träger meiner Vorstellungen angesehen; aber bin ich nicht selbst eine Vorstellung? Es ist mir so, als läge ich auf einem Liegestuhle, als sähe ich ein Paar gewichster Stiefelspitzen, die Vorderseite einer Hose, eine Weste, Knöpfe, Teile eines Rockes, insbesondere Ärmel, zwei Hände, einige Barthaare, verschwommene Umrisse einer Nase. Und dieser ganze Verein von Gesichtseindrücken, diese Gesamtvorstellung bin ich selbst? Es ist mir auch so, als sähe ich dort einen Stuhl. Es ist eine Vorstellung. Eigentlich unterscheide ich mich gar nicht so sehr von [72] dieser; denn bin ich nicht selbst ebenfalls ein Verein von Sinneseindrücken, eine Vorstellung? Wo ist denn aber der Träger dieser Vorstellungen? Wie komme ich dazu, eine dieser Vorstellungen herauszugreifen und sie als Trägerin der andern hinzustellen? Warum muß das die Vorstellung sein, die ich ich zu nennen beliebe? Könnte ich nicht ebenso gut die dazu wählen, die ich einen Stuhl zu nennen in Versuchung bin? Doch wozu überhaupt ein Träger der Vorstellungen? Ein solcher wäre doch immer etwas von den bloß getragenen Vorstellungen wesentlich Verschiedenes, etwas Selbständiges, was keines fremden Trägers bedürfte. Wenn alles Vorstellung ist, so gibt es keinen Träger der Vorstellungen. Und so erlebe ich nun wieder einen Umschlag ins Entgegengesetzte. Wenn es keinen Träger der Vorstellungen gibt, so gibt es auch keine Vorstellungen; denn Vorstellungen bedürfen eines Trägers, ohne den sie nicht bestehen können. Wenn kein Herrscher da ist, gibt es auch keine Untertanen. Die Unselbständigkeit, die ich der Empfindung gegenüber dem Empfindenden zuzuerkennen mich bewogen fand, fällt weg, wenn kein Träger mehr da ist. Was ich Vorstellungen nannte, sind dann selbständige Gegenstände. Demjenigen Gegenstande, den ich ich nenne, eine besondere Stellung einzuräumen, fehlt jeder Grund.

Aber ist denn das möglich? Kann es ein Erleben geben, ohne jemanden, der es erlebt? Was wäre dieses ganze Schauspiel ohne einen Zuschauer? Kann es einen Schmerz geben, ohne jemanden, der ihn hat? Das Empfundenwerden gehört notwendig zum Schmerze, und zum Empfundenwerden gehört wieder jemand, der empfindet. Dann aber gibt es etwas, was nicht meine Vorstellung ist und doch Gegenstand meiner Betrachtung, meines Denkens sein kann, und ich bin von der Art. Oder kann ich Teil des Inhalts meines Bewußtseins sein, während ein anderer Teil vielleicht eine Mondvorstellung ist? Findet das etwa statt, wenn ich urteile, daß ich den Mond betrachte? Dann hätte dieser erste Teil ein Bewußtsein, und ein Teil des Inhalts dieses Bewußtseins wäre wiederum ich. U. s. f. Daß ich so ins Unendliche in mir eingeschachtelt wäre, ist doch wohl undenkbar; denn dann gebe es ja nicht nur ein ich, sondern unendlich viele. Ich bin nicht meine eigene Vorstellung, und wenn ich etwas von mir behaupte, z. B. daß ich augenblicklich keinen Schmerz empfinde, so betrifft mein Urteil etwas, was nicht Inhalt meines Bewußtseins, nicht meine Vorstellung ist, nämlich mich selbst. Also ist das, wovon ich etwas aussage, nicht notwendig meine Vorstellung. Aber, wendet man vielleicht ein, wenn Ich meine, daß ich augenblicklich keinen Schmerz habe, entspricht dann nicht doch dem Worte „ich” etwas im Inhalte meines Bewußtsein? und ist das nicht eine Vorstellung? Das mag sein. Mit der Vorstellung des Wortes „ich” mag in meinem Bewußtsein eine gewisse Vorstellung verbunden sein. Dann aber ist sie eine Vorstellung neben andern Vorstellungen, und ich bin ihr Träger wie der Träger der andern Vorstellungen. Ich habe eine Vorstellung von mir, aber ich bin nicht diese Vorstellung. Es ist scharf zu unterscheiden zwischen dem, was Inhalt meines Bewußtseins, meine Vorstellung ist, und dem, was Gegenstand meines Denkens ist. Also ist der Satz falsch, daß nur das Gegenstand meiner Betrachtung, meines Denkens sein kann, was zum Inhalte meines Bewußtseins gehört.

[73] Nun ist der Weg frei, daß ich auch einen andern Menschen anerkennen kann als selbständigen Träger von Vorstellungen. Ich habe eine Vorstellung von ihm; aber ich verwechsele sie nicht mit ihm selbst. Und wenn ich etwas von meinem Bruder aussage, so sage ich es nicht von der Vorstellung aus, die ich von meinem Bruder habe.

Der Kranke, der einen Schmerz hat, ist Träger dieses Schmerzes; aber der behandelnde Arzt, der über die Ursache dieses Schmerzes nachdenkt, ist nicht Träger des Schmerzes. Er bildet sich nicht ein, dadurch den Schmerz des Kranken stillen zu können, daß er sich selbst betäube. Zwar mag dem Schmerze des Kranken eine Vorstellung im Bewußtsein des Arztes entsprechen; aber diese ist nicht der Schmerz und nicht das, was der Arzt auszulöschen bemüht ist. Möge der Arzt einen andern Arzt zuziehen. Dann ist zu unterscheiden: erstens der Schmerz, dessen Träger der Kranke ist, zweitens die Vorstellung des ersten Arztes von diesem Schmerze, drittens die Vorstellung des zweiten Arztes von diesem Schmerze. Diese Vorstellung gehört zwar zum Inhalte des Bewußtseins des zweiten Arztes, ist aber nicht Gegenstand seines Nachdenkens, vielleicht aber Hilfsmittel beim Nachdenken, wie etwa eine Zeichnung ein solches Hilfsmittel sein kann. Beide Ärzte haben als gemeinsamen Gegenstand den Schmerz des Kranken, dessen Träger sie nicht sind. Es ist daraus zu ersehen, daß nicht nur ein Ding, sondern auch eine Vorstellung gemeinsamer Gegenstand des Denkens von Menschen sein kann, die diese Vorstellung nicht haben.

So, scheint mir, wird die Sache verständlich. Wenn der Mensch nicht denken und zum Gegenstande seines Denkens nicht etwas nehmen könnte, dessen Träger er nicht ist, hätte er wohl eine Innenwelt, nicht eine Umwelt. Aber kann das nicht auf einem Irrtume beruhen? Ich bin überzeugt, daß der Vorstellung, die ich mit den Worten „mein Bruder” verbinde, etwas entspricht, was nicht meine Vorstellung ist und wovon ich etwas aussagen kann. Aber kann ich mich nicht darin irren? Solche Irrtümer kommen vor. Wir verfallen darin wider unsere Absicht in Dichtung. In der Tat! Mit dem Schritte, mit dem ich mir eine Umwelt erobere, setze ich mich der Gefahr des Irrtums aus. Und hier stoße ich auf einen weiteren Unterschied meiner Innenwelt von der Außenwelt. Daß ich den Gesichtseindruck des Grünen habe, kann mir nicht zweifelhaft sein; daß ich aber ein Lindenblatt sehe, ist nicht so sicher. So finden wir im Gegensatze zu weit verbreiteten Meinungen in der Innenwelt Sicherheit, während uns bei unsern Ausflügen in die Außenwelt der Zweifel nie ganz verläßt. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit auch hierbei in vielen Fällen von der Gewißheit kaum zu unterscheiden, so daß wir es wagen können, über die Dinge der Außenwelt zu urteilen. Und wir müssen das sogar wagen auf die Gefahr des Irrtums hin, wenn wir nicht weit größeren Gefahren erliegen wollen.

Als Ergebnis der letzten Betrachtungen stelle ich folgendes fest: Nicht alles ist Vorstellung, was Gegenstand meines Erkennens sein kann. Ich selbst bin als Träger von Vorstellungen nicht selber eine Vorstellung. Es steht nun nichts im Wege, auch andere Menschen als Träger von Vorstellungen, ähnlich mir selber, anzuerkennen. Und wenn die Möglichkeit erst einmal gegeben ist, ist die [74] Wahrscheinlichkeit sehr groß, so groß, daß sie sich für meine Auffassung von der Gewißheit nicht mehr unterscheidet. Gäbe es sonst eine Geschichtswissenschaft? Würde sonst nicht jede Pflichtenlehre, nicht jedes Recht hinfällig? Was bliebe von der Religion übrig? Auch die Naturwissenschaften könnten nur noch als Dichtungen, ähnlich der Astrologie und Alchemie bewertet werden. Die Überlegungen also, die ich angestellt habe, voraussetzend, daß es außer mir Menschen gebe, die mit mir dasselbe zum Gegenstande ihrer Betrachtung, ihres Denkens machen können, bleiben im wesentlichen ungeschwächt in Kraft.

Nicht alles ist Vorstellung. So kann ich denn auch den Gedanken als unabhängig von mir anerkennen, den auch andere Menschen ebenso wie ich fassen können. Ich kann eine Wissenschaft anerkennen, an der viele sich forschend betätigen können. Wir sind nicht Träger der Gedanken, wie wir Träger unserer Vorstellungen sind. Wir haben einen Gedanken, nicht, wie wir etwa einen Sinneseindruck haben; wir sehen aber auch einen Gedanken nicht, wie wir etwa einen Stern sehen. Darum ist es anzuraten, hier einen besonderen Ausdruck zu wählen, und als solcher bietet sich uns das Wort „fassen” dar. Dem Fassen (6) der Gedanken muß ein besonderes geistiges Vermögen, die Denkkraft entsprechen. Beim Denken erzeugen wir nicht die Gedanken, sondern wir fassen sie. Denn das, was ich Gedanken genannt habe, steht ja im engsten Zusammenhange mit der Wahrheit. Was ich als wahr anerkenne, von dem urteile ich, daß es wahr sei ganz unabhängig von meiner Anerkennung seiner Wahrheit, auch unabhängig davon, ob ich daran denke. Zum Wahrsein eines Gedankens gehört nicht, daß er gedacht werde. „Tatsachen! Tatsachen! Tatsachen!” ruft der Naturforscher aus, wenn er die Notwendigkeit einer sicheren Grundlegung der Wissenschaft einschärfen will. Was ist eine Tatsache? Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist. Als sichere Grundlage der Wissenschaft aber wird der Naturforscher sicher nicht etwas anerkennen, was von den wechselnden Bewußtseinszuständen von Menschen abhängt. Die Arbeit der Wissenschaft besteht nicht in einem Schaffen, sondern in einem Entdecken von wahren Gedanken. Der Astronom kann eine mathematische Wahrheit anwenden bei der Erforschung längst vergangener Begebenheiten, die stattfanden, als auf Erden wenigstens noch niemand jene Wahrheit erkannt hatte. Er kann dies, weil das Wahrsein eines Gedanken zeitlos ist. Also kann jene Wahrheit nicht erst mit ihrer Entdeckung entstanden sein.

Nicht alles ist Vorstellung. Sonst enthielte die Psychologie alle Wissenschaften in sich oder wäre wenigstens die oberste Richterin über alle Wissenschaften. Sonst beherrschte die Psychologie auch die Logik und die Mathematik. Nichts hieße aber die Mathematik mehr verkennen als ihre Unterordnung unter die Psychologie. Weder die Logik noch die Mathematik hat als Aufgabe, die Seelen und den Bewußtseinsinhalt zu erforschen, dessen Träger der einzelne Mensch ist. Eher könnte man vielleicht als ihre Aufgabe die Erforschung des Geistes hinstellen, des Geistes, nicht der Geister.

Das Fassen der Gedanken setzt einen Fassenden, einen Denkenden voraus. Dieser ist dann Träger des Denkens, nicht aber des Gedankens. Obgleich zum Bewußtseinsinhalte des Denkenden der Gedanke nicht gehört, muß doch in dem Bewußtsein etwas auf den Gedanken hinzielen. Dieses darf aber nicht mit dem Gedanken selbst verwechselt werden. So ist auch Algol selbst verschieden von der Vorstellung, die jemand von Algol hat.

Der Gedanke gehört weder als Vorstellung meiner Innenwelt noch auch der Außenwelt, der Welt der sinnlich wahrnehmbaren Dinge an.

Dieses Ergebnis, wie zwingend es sich auch aus dem Dargelegten ergeben mag, wird dennoch vielleicht nicht ohne Widerstand angenommen werden. Es wird manchem, denke ich, unmöglich scheinen, von etwas Kunde zu erlangen, was nicht seiner Innenwelt angehört, außer durch Sinneswahrnehmung. In der Tat wird die Sinneswahrnehmung oft als die sicherste, ja sogar als die einzige Erkenntnisquelle für alles angesehen, was nicht der Innenwelt angehört. Aber mit welchem Rechte? Zur Sinneswahrnehmung gehört doch wohl als notwendiger Bestandteil der Sinneseindruck, und dieser ist Teil der Innenwelt. Denselben haben zwei Menschen jedenfalls nicht, wenn sie auch ähnliche Sinneseindrücke haben mögen. Diese allein eröffnen uns nicht die Außenwelt. Vielleicht gibt es ein Wesen, das nur Sinneseindrücke hat, ohne Dinge zu sehen oder zu tasten. Das Haben von Gesichtseindrücken ist noch kein Sehen von Dingen. Wie kommt es, daß ich den Baum gerade dort sehe, wo ich ihn sehe? Offenbar liegt es an den Gesichtseindrücken, die ich habe, und an der besonderen Art von solchen, die dadurch zustande kommen, daß ich mit zwei Augen sehe. Auf jeder der beiden Netzhäute entsteht, physikalisch gesprochen, ein besonderes Bild. Ein anderer sieht den Baum an derselben Stelle. Auch er hat zwei Netzhautbilder, die aber von meinen abweichen. Wir müssen annehmen, daß diese Netzhautbilder für unsere Eindrücke bestimmend sind. Demnach haben wir nicht nur nicht dieselben, sondern merklich voneinander abweichende Gesichtseindrücke. Und doch bewegen wir uns in derselben Außenwelt. Das Haben von Gesichtseindrücken ist zwar nötig zum Sehen der Dinge, aber nicht hinreichend. Was noch hinzukommen muß, ist nichts Sinnliches. Und dieses ist es doch gerade, was uns die Außenwelt aufschließt; denn ohne dieses Nichtsinnliche bliebe jeder in seiner Innenwelt eingeschlossen. Da also die Entscheidung im Nichtsinnlichen liegt, könnte ein Nichtsinnliches auch da, wo keine Sinneseindrücke mitwirken, uns aus der Innenwelt hinausführen und uns Gedanken fassen lassen. Außer seiner Innenwelt hätte man zu unterscheiden die eigentliche Außenwelt der sinnlich wahrnehmbaren Dinge und das Reich desjenigen, was nicht sinnlich wahrnehmbar ist. Zur Anerkennung beider Reiche bedürften wir eines Unsinnlichen; aber bei der sinnlichen Wahrnehmung der Dinge hätten wir außerdem noch Sinneseindrücke nötig, und diese gehören ja ganz der Innenwelt an. So ist dasjenige, worauf der Unterschied des Gegebenseins eines Dinges von dem eines Gedankens hauptsächlich beruht, etwas, was keinem der beiden Reiche, sondern der Innenwelt zuzuweisen ist. So kann ich diesen Unterschied nicht so groß finden, daß dadurch das Gegebensein eines der Innenwelt nicht angehörenden Gedankens unmöglich werden könnte.

Freilich ist der Gedanke nicht etwas, was man wirklich zu nennen gewohnt ist. Die Welt des Wirklichen ist eine Welt, in der dieses auf jenes wirkt es verändert und selbst wieder Gegenwirkungen erfährt und dadurch verändert wird. Alles das ist ein Geschehen in der Zeit. Was zeitlos und unveränderlich ist, werden wir schwerlich als wirklich anerkennen. Ist nun der Gedanke veränderlich, oder ist er zeitlos? Der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprechen, ist doch wohl zeitlos, ewig, unveränderlich. Aber gibt es nicht auch Gedanken, die heute wahr sind, nach einem halben Jahre aber falsch? Der Gedanke z. B., daß der Baum dort grün belaubt ist, ist doch wohl nach einem halben Jahre falsch? Nein; denn es ist gar nicht derselbe Gedanke. Der Wortlaut „dieser Baum ist grün belaubt” allein genügt ja nicht zum Ausdrucke, denn die Zeit des Sprechens gehört dazu. Ohne die Zeitbestimmung, die dadurch gegeben ist, haben wir keinen vollständigen Gedanken, d. h. überhaupt keinen Gedanken. Erst der durch die Zeitbestimmung ergänzte und in jeder Hinsicht vollständige Satz drückt einen Gedanken aus. Dieser ist aber, wenn er wahr ist, nicht nur heute oder morgen, sondern zeitlos wahr. Das Praesens in „ist wahr” deutet also nicht auf die Gegenwart des Sprechenden, sondern ist, wenn der Ausdruck erlaubt ist, ein Tempus der Urzeitlichkeit. Wenn wir die bloße Form des Behauptungssatzes anwenden, das Wort „wahr” vermeidend, muß doch zweierlei unterschieden werden: der Ausdruck des Gedankens und die Behauptung. Die in dem Satze etwa enthaltene Zeitbestimmung gehört allein dem Ausdrucke des Gedankens an, während die Wahrheit, deren Anerkennung in der Form des Behauptungssatzes liegt, zeitlos ist. Zwar kann derselbe Wortlaut wegen der Veränderlichkeit der Sprache mit der Zeit einen andern Sinn annehmen, einen andern Gedanken ausdrücken: aber die Veränderung betrifft dann das Sprachliche.

Und doch! Welchen Wert könnte das ewig Unveränderliche für uns haben, das Wirkungen weder erfahren noch auf uns haben könnte? Etwas ganz und in jeder Hinsicht Unwirksames wäre auch ganz unwirklich und für uns nicht vorhanden. Selbst das Zeitlose muß irgendwie mit der Zeitlichkeit verflochten sein, wenn es uns etwas sein soll. Was wäre ein Gedanke für mich, der nie von mir gefaßt würde! Dadurch aber, daß ich einen Gedanken fasse, trete ich zu ihm in eine Beziehung und er zu mir. Es ist möglich, daß derselbe Gedanke, der heute von mir gedacht wird, gestern nicht von mir gedacht wurde. Damit ist die strenge Urzeitlichkeit des Gedankens allerdings aufgehoben. Aber man wird geneigt sein, zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften zu unterscheiden und etwas als zeitlos anzuerkennen, wenn die Veränderungen, die es erfährt, nur die unwesentlichen Eigenschaften betreffen. Unwesentlich wird man eine Eigenschaft eines Gedankens nennen, die darin besteht oder daraus folgt, daß er von einem Denkenden gefaßt wird.

Wie wirkt ein Gedanke? Dadurch, daß er gefaßt und für wahr gehalten wird. Das ist ein Vorgang in der Innenwelt eines Denkenden, der weitere Folgen in dieser Innenwelt haben kann, die, auf das Gebiet des Willens übergreifend, sich auch in der Außenwelt bemerkbar machen. Wenn ich z. B. den Gedanken fasse, den wir im pythagoreischen Lehrsatze aussprechen, so kann die Folge sein, daß ich ihn als wahr anerkenne, und weiter, daß ich ihn anwende, einen Beschluß fassend, der Beschleunigung von Massen bewirkt. So werden unsere Taten gewöhnlich durch Denken und Urteilen vorbereitet. Und so können Gedanken auf Massenbewegungen mittelbar Einfluß haben. Das Wirken von Mensch auf Mensch wird zumeist durch Gedanken vermittelt. Man teilt einen Gedanken mit. Wie geschieht das? Man bewirkt Veränderungen in der gemeinsamen Außenwelt, die, von dem andern wahrgenommen, ihn veranlassen sollen, einen Gedanken zu fassen und ihn für wahr zu halten. Die großen Begebenheiten der Weltgeschichte, konnten sie anders als durch Gedankenmitteilung zustande kommen? Und doch sind wir geneigt, die Gedanken für unwirklich zu halten, weil sie bei den Vorgängen untätig erscheinen, während das Denken, Urteilen, Aussprechen, Verstehen, alles Tun dabei Sache der Menschen ist. Wie ganz anders wirklich erscheint doch ein Hammer, verglichen mit einem Gedanken! Wie anders ist der Vorgang beim Überreichen eines Hammers als bei der Mitteilung eines Gedankens! Der Hammer geht aus einem Machtbereich in einen andern über, er wird ergriffen, erfährt dabei einen Druck, dadurch wird seine Dichte, die Lagerung seiner Teile stellenweise geändert. Von alledem hat man beim Gedanken eigentlich nichts. Der Gedanke verläßt bei der Mitteilung das Machtgebiet des Mitteilenden nicht; denn im Grunde hat der Mensch keine Macht über ihn. Indem der Gedanke gefaßt wird, bewirkt er Veränderungen zunächst nur in der Innenwelt des Fassenden; doch bleibt er selbst im Kerne seines Wesens davon unberührt, da die Veränderungen, die er erfährt, nur unwesentliche Eigenschaften betreffen. Es fehlt hier das, was wir im Naturgeschehen überall erkennen: die Wechselwirkung. Die Gedanken sind nicht durchaus unwirklich, aber ihre Wirklichkeit ist ganz anderer Art als die der Dinge. Und ihr Wirken wird ausgelöst durch ein Tun der Denkenden, ohne das sie wirkungslos wären, wenigstens soweit wir sehen können. Und doch schafft der Denkende sie nicht, sondern muß sie nehmen, wie sie sind. Sie können wahr sein, ohne von einem Denkenden gefaßt zu werden, und sind auch dann nicht ganz unwirklich, wenigstens wenn sie gefaßt und dadurch in Wirksamkeit gesetzt werden können.

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